Gute Noten für gute Noten
»Man müßte Klavier spielen können…«, tönte es einst durch die Gassen. Die Zeiten haben sich gewandelt. Glück bei den Frauen hat man heute auch ohne Fertigkeit im Klavierspiel. Denn mit dem Extended Synthesizer System ersetzt der Commodore 64 die Technik des Klavierspiels. Was jedoch nötig ist: eine gute Portion musikalisches Grundwissen.
Der Computermusiker würde das Extended Synthesizer System ein Komposerprogramm nennen. Lieder direkt über die Tastatur einspielen, das funktioniert nicht. Man tippt sie Ton für Ton, mittels diverser Befehle ein. Dies bedeutet zwar viel Arbeit, dafür haben jedoch hier auch Theoretiker ohne Übung im Klavierspiel eine Chance, eigene Kompositionen zum Klingen zu bringen.
Das Programm wird auf Diskette zum Preis von 138 Mark geliefert.
Die Bedienungsanleitung umfaßt zirka 50 Seiten. Klar und übersichtlich aufgebaut, erklärt sie alles Wichtige zu den einzelnen Bedienungsfunktionen. Schade, daß kein eigenes Kapitel die Grundlagen der allgemeinen Musiktheorie berücksichtigt. Dies hätte sicher vielen Nichtmusikern den Umgang mit dem Programm wesentlich erleichtert. Auch die Grundlagen der Klangerzeugung kamen etwas kurz weg. Ein paar kleine Grafiken mehr, und auch der Nicht-Synthesizer-Fachmann wüßte anschließend besser Bescheid, über Wellenformen und Hüllkurvenverläufe. Sicher vermuteten die Autoren des Bedienungshandbuches, daß nur musikalisch vorgebildete Anwender mit dem Programm arbeiten. Doch das muß ja nicht immer sein. Es stimmt zwar, daß das Extended Synthesizer System in erster Linie für den musikalisch gut Vorgebildeten Nützliches bietet, doch hätte dieses Programm andererseits auch gerade für den Musikneuling großen pädagogischen Wert. Außerdem dürften sich unter den Commodore 64-Besitzern wesentlich mehr Musiklaien befinden als Musiker unter den Commodore 64-Usern. Nun denn, im Notfall hilft immer noch der Gang zum Musikalienhändler, der gerne mit Rat, Tat und Literatur zur allgemeinen Musiktheorie weiterhilft.
Nach dem Laden und Starten des Systems erscheint zunächst ein Titelbild. Mit »RETURN« aktivieren wir dann das Programm. Einige Sekunden später tauchen auf dem Bildschirm drei verschiedenfarbige Notenzeilen untereinander auf. So präsentiert sich das Extended Synthesizer System (siehe Bild) während wir mit ihm arbeiten.
Drei Notenzeilen am Bildschirm
In der obersten Zeile erhalten wir drei Informationen zum momentan gespielten Stück. Genauer gesagt, Tempo, Name des Stücks und der gerade gespielte Takt. Die Violinschlüssel in den drei Notenzeilen darunter wirken etwas verunglückt. Doch das soll uns hier nicht weiter stören. Das Extended Synthesizer System bietet, wie es mittlerweile unter den Musikprogrammen für C 64 zum guten Ton gehört, alle drei Stimmen des SID-Chips. Es entspricht insofern einem dreifingerigen Klavierspieler. Denn genau wie dieser vermag es drei Töne gleichzeitig zum Klingen zu bringen, nicht mehr. Vorausgesetzt natürlich, die Füße bleiben auf dem Pedal. Aber das sei der Fall. Eine Etage unterhalb der dritten Notenzeile, nochmals Text. Im Toneingabemodus teilt uns das Extended Synthesizer System in der oberen der zwei Zeilen mit, welche der drei Stimmen wir gerade bearbeiten. Darunter eine Input-Zeile. Hier spielt sich im folgenden die gesamte Kommunikation mit dem System ab. In der Kommandozeile erscheinen sämtliche über die Tastatur eingetippten Befehle, wie auch dezente Hinweise des Systems auf etwaige Bedienungsfehler.
Spätestens jetzt ist es Zeit, einen der Demosongs zu laden. Das gibt uns den besten Eindruck von den Möglichkeiten des Systems. Töne machen die Musik.
Zunächst will das Programm jedoch immer zwei Dinge wissen: Takt und Notenschlüssel. Genau wie diese beiden Grundfesten unserer westlichen Musikkultur jede Partitur eröffnen, stehen sie auch hier am Beginn der Arbeit.
Die Eingabe des Taktes erfolgt immer in der Form a/b, mit a von 1 bis 9 und b entweder 2, 4 oder 8. Wir können also zum Beispiel 4/4, 3/4, 9/8 oder auch einen 7/8 Takt eingeben. Tippen wir aus Versehen einen unzulässigen Wert ein, erkennt das System den Fehler sofort und ignoriert ihn. Gleiches gilt für alle anderen Befehlseingaben. Prinzipiell passieren nur korrekte Eingaben die Kommandozeile.
Die gewünschte Tonart teilen wir dem Extended Synthesizer System durch den entsprechenden Anfangsbuchstaben und gegebenenfalls das nötige Vorzeichen (Doppelkreuz beziehungsweise b) mit. Zum Beispiel c für C-Dur, c# für Cis-Dur, eb für ES-Dur und so weiter. Leider versteht die Software nur Dur-Tonarten. Moll-Tonarten müssen immer als Dur-Tonarten eingegeben werden. Dies läßt Vollblutmusikern natürlich die Haare zu Berge stehen.
Zu guter Letzt nun noch LOAD»DEMO«, 8 dann RETURN getippt und kurze Zeit später füllen sich unsere drei Notenzeilen. Ein Ausschnitt aus dem Musikstück erscheint notiert. Jetzt noch »PLAY« eingetippt und unser Extended Systhesizer System läßt sich nicht mehr halten. Flott trillert und flötet es dreistimmig vor sich hin. Noten flitzen über den Bildschirm. Auch optisch läßt sich mit dem Programm gewiß jeder Nachbar verblüffen. Nach zwei Minuten, Ruhe, der Spuk ist vorbei. Auf der Programmdiskette warten mehrere Demostücke auf Ihren Einsatz, alle recht passabel programmiert. Klanglich erlebt man jedoch hier weniger Überraschungen.
Wenig Sound, aber viel Musik
Im Vergleich zu Synthimat 64 oder Musicalc hat man bei der Konzeption des Extended Synthesizer Systems weniger Wert darauf gelegt, alle Soundmöglichkeiten des SIDs auszuschöpfen. Dafür erhält man hier mit Abstand das beste Werkzeug, um mit Noten zu hantieren. Leider lassen sich die erstellten Kompositionen nicht ausdrucken. Schade, mit dieser Option zusätzlich, hätte man ein passables Notendrucksystem für dreistimmige Kompositionen.
Ringmodulation, Synchronisation, Filterung und LFO-Modulationen muß man hier vergessen. Auch den DCOs erlaubt man hier nur Dreieck, Rechteck, Sägezahn oder Noise zu produzieren, keine der Mischformen.
Die Sounds legt man hier in sogenannten Registern ab. Insgesamt sind jeweils zehn verschiedene Register ohne Diskettenoperation abrufbar. Diese Register könnte man natürlich auch Klangpresets oder Klangprogramme nennen.
Man sollte bereits vor Beginn der Songprogrammierung über die Struktur des Songs möglichst im Klaren sein. Wer gut notieren kann, ist am besten dran. Er kann die Notation vom Papier direkt in den Computer »abschreiben«. Andernfalls dauert es sicher länger bis man ein ganzes Stück wohltönend einprogrammiert hat. Trial and Error lautet die Devise für alle nicht der Musiksprache fähigen.
Schnelles Komponieren dank sinnvoller Eingabeerleichterungen
Wie funktioniert die Noteneingabe? Zunächst bestimmt man die Stimme, die programmiert werden soll, mit den Befehlen 01, 02 und 03. Dann gibt man Ton für Ton jeweils Notenlänge, Tonhöhe, Lautstärke, Anschlag und das gewünschte Klang-Register ein. Der gerade eingegebene Ton erscheint sofort als Note in der richtigen Notenzeile.
Gott sei Dank braucht man nicht für jeden Ton erneut alle Werte eintippen, nur die, die sich gegenüber der zuvor eingegebenen Note ändern. Im anderen Fall übernimmt das System die entsprechenden Werte des vorangegangenen Tones. Ganz ungeduldige Klangignoranten dürfen getrost auch auf die Eingabe von Lautstärke, Anschlag und Register verzichten. Dann nimmt die Software einfach gebräuchliche Ersatzwerte.
Eine vollständige Toneingabe sieht zum Beispiel so aus:
1.4 d5 : 9 : 1 : 3
Viertel Tonhöhe: Sustain: Anschlag Register Note: Oktave
Will man einen Wert nicht genau spezifizieren, gibt man statt dessen bei der ersten Noteneingabe ein »*« ein. Das System nimmt dann für diesen Parameter im gesamten Song einen Ersatzwert. Gibt man das Sternchen innerhalb eines Songs ein, übernimmt das System für diesen Parameter den Wert des vorangegangenen Tones.
Soll ein Ton in allen Parametern nochmals wiederholt werden, genügt ein Druck auf die RETURN-Taste. Dies erleichtert natürlich das Arbeiten ungemein.
Der Takt, der gerade eingegeben, bearbeitet oder gespielt wird, erscheint immer in seiner Umgebung, in allen drei Takten auf dem Bildschirm. Insgesamt kann das System 408 Takte pro Stimme im Speicher halten.
Die ersten acht Töne des bekannten »alle meine Entchen« erfordern einen doch recht hohen Programmieraufwand für eine Stimme.
Mit den Befehlen »+« und »-« kann man die Takte horizontal über den Bildschirm scrollen. Einige weitere nützliche Befehle dienen dazu, etwa einen schon eingegebenen Takt a gezielt auf den Bildschirm zu rufen (list a), bis zum Takt e zu löschen (del a-e) oder i-mal zu kopieren (copy a-e,i). Takt-Handling nennt man das. Auch die Funktionstasten f1, f3, f5 und f7 bieten interessante Arbeitserleichterungen. Ein einziger Tastendruck löscht den zuletzt eingegebenen Ton (f1) oder Takt (f3), kopiert den letzten Takt (f5), oder setzt einen ganzen Takt beziehungsweise den Rest des gerade Eingegebenen als Pause (f7). So geht die Eingabe der Kompositionen trotz komplexer Befehle relativ schnell vonstatten.
Mehrmaliges Wechseln von Tonart und Tempo innerhalb einer Komposition stellt kein Problem dar. Hierfür sind die Befehle »key« und »tempo«, mit nachfolgender Eingabe des Tonartsymbols beziehungsweise des Tempowertes zuständig. Sowohl Tempo- als auch Tonartänderungen beziehen sich nicht auf eine komplette Stimme sondern auf eine wählbare Anzahl von Takten. So sind mehrere Änderungen innerhalb eines Stückes möglich.
Die Einstellungen der einzelnen Klangregister gibt man numerisch ein. Wir können die Wellenformen und die ADR-Werte für jedes Register getrennt bestimmen. Die Wellenform legt man mit »t« für Dreieck, »p« für Rechteck, »s« für Sägezahn und »n« für Noise, fest. Als nächstes bestimmt man die ADR-Werte durch Eingabe des Buchstabens A, D beziehungsweise R und einer darauffolgenden Zahl von 0 für kurz, bis 9 für lang. Der Sustainwert steht nicht im Klangregister. Ihn gibt man bei der Toneingabe für jeden Ton getrennt ein. Was musikalisch natürlich gutzuheißen ist. Denn so lassen sich einzelne Töne mit unterschiedlicher Lautstärke spielen, dynamisch. Dies klingt weniger mechanisch als wenn alle Töne gleiche Lautstärke besitzen.
Das System läßt sich übrigens auch stimmen.
Obwohl der Extended Synthesizer weder die Ringmodulations- noch Synchronisationsmöglichkeiten des SIDs nutzt, erreicht man doch ganz interessante Soundabläufe. Jeder einzelne Ton läßt sich ja mit einem eigenen Sound versehen. Das gleicht das Fehlen besagter Effekte mehr als aus.
Die Lautstärkenwerte, Gate-Zeiten und angewählten Register der einzelnen Töne zeigt die Software, sofern gewünscht, auf dem Bildschirm.
Solange man mit dem System noch nicht so ganz hundertprozentig vertraut ist, passieren natürlich des öfteren Eingabefehler. In diesem Falle läßt uns das System nicht ratlos alleine, sondern hilft mit diversen Fehlermeldungen meist aus der Patsche. Dies gilt natürlich nur für falsch, beziehungsweise unvollständig eingegebene Kommandos. Klingt unser Lied am Schluß fürchterlich, so müssen wir das entweder mit unserem musikalischen Gewissen verantworten, oder tiefer in die Grundlagen der Harmonielehre einsteigen. Ein solches musikalisches Gewissen besitzt das Extended Synthesizer System nicht.
Will man sich seinen Song anhören, tippt man nur den Befehl PLAY ein und schon geht’s los. Auch einzelne Takte, sowie einzelne Stimmen spielt der Extended Synthesizer auf Wunsch vor. Sogar an eine Loop-Funktion, die einzelne Takte sowie eine oder mehrere Stimmen zyklisch wiederholt, hat man gedacht.
Für die Nachwelt können wir unsere Songs sowohl auf Diskette als auch auf Cassette aufbewahren. Zu jedem Song werden zugleich sämtliche Klangparameter mit abgespeichert.
Ein Aspekt, Extended Synthesizer einzusetzen, ist das Üben mehrstimmiger Notation. Wenn man nach dem Eintippen den Song abspielt, hört man sofort, ob man seine musikalische Imagination richtig zu »Papier« gebracht hat oder nicht.
Das Extended Synthesizer System ist vor allem für Notationsfetischisten und Composerfreaks gedacht, denen Effekte wie Ringmodulation und Synchronisation sowie viele LFOs und Realtimeeinspielung, nicht so wichtig sind. Man muß hier jedoch auch bemerken, daß die Notendarstellung nicht bis ins kleinste Detail der Hohen Schule der Notation entspricht. Doch an diesem Problem beißen sich momentan noch ungleich leistungsfähigere Computersysteme die Zähne aus. Das Programm kostet 138 Mark.
(Richard Aicher/aa)