Interessant bis brisant – die elektronischen Briefkästen
Würde die Tagesschau über Mailboxen berichten, Herr Köpke könnte jeden Abend neben einem Haufen neuer Telefonnummern Erstaunenswertes dem Publikum mitteilen. In der bundesdeutschen Mailbox-Szene tut sich allerhand; Grund genug, sich einmal genauer umzuschauen.
Was eine Mailbox ist, dürfte mittlerweile sicher hinreichend bekannt sein. Wie eine solche funktioniert und zu betreiben ist, hat sich wohl auch schon rumgesprochen, denn wie sonst würden diese elektronischen Briefkästen jeden Tag wie Kraut und Rüben aus dem Boden wachsen, der, nebenbei bemerkt, ausgerechnet im Industriegebiet rund um den Ruhrpott hierfür auch noch am fruchtbarsten erscheint.
Mailboxen gibt es seit der Erfindung der telefonischen Datenfernübertragung, doch erst preiswerte Geräte, wie zum Beispiel Akustikkoppler, lassen es zu, daß jetzt auch jeder seine eigene Box aufmachen kann. Voraussetzungen hierfür sind lediglich die FTZ-Nummer am Koppler und, falls galvanisch angeschlossen, also per Postmodem, auch noch eine spezielle für den Computer. Das benötigte Programm gibt es für Programmiergegner bereits im Handel.
Auf der anrufenden Seite bedarf es nur der Terminalsoftware, und schon steht einem die Welt offen. Was sich aber in dieser nun wirklich abspielt, reicht von banal über kurios bis hin zu Dingen, für die sich auch Verwaltungsdetektive der Post zu interessieren beginnen.
Doch vornweg: Die meisten Mailboxen dienen dem harmlosen Austausch von Informationen zwischen Computerfreaks aller Couleur: Da werden Adventure-Lösungen gesucht oder weitergegeben, Tips und Tricks für Hard- oder Software verraten, Termine für Clubtreffen vereinbart oder auch mal mitgeteilt, daß Herbert Bit und Renate Byte »ONLINE«, lies freundschaftlich und frisch verliebt zusammen sind.
Im Grunde genommen also eigentlich nichts anderes als ein Schwarzes Brett, elektronisch auf dem Bildschirm dargestellt und einer breiteren Hacker-Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zudem bieten einige Mailboxen, meist die, die von kommerziellen Anbietern oder Verlagen betrieben werden, noch die Möglichkeit, Programme in Form von Listings kostenlos abzurufen. Oft genug sind dies jedoch solche, die ohnehin schon hinreichend bekannt sind; man spart sich aber immerhin das mühselige Eintippen der Zeilen.
Doch es gibt auch andere, mehr verborgene Seiten in den Mailbox-Dateien. Bei einigen kann man sich direkt oder via Post als Benutzer eintragen lassen und so Nachrichten empfangen, die nur für sie oder ihn persönlich bestimmt sind. So ist ein relativer Schutz der Daten, die man weitergeben oder bekommen will, einigermaßen gewährleistet. Wer also in die höheren »Hackerweihen« im Mailbox-Verkehr einsteigen will, braucht demnach unbedingt einen Hacker-Namen und ein »geheimes« Password.
Wem hierzu nichts einfällt, kann sich ja fürs erste mal als GAST, GUEST, VISITOR oder sonstwas einloggen, das heißt melden; die meisten Mailboxen öffnen dann zumindest für den »öffentlichen« Teil der Nachrichten, Mailbox-Lesen und Mailbox-Eingeben, ihre Pforten. Und spätestens beim Lesen dieser »MSGs«, Messages, kommen jedem bestimmt die Ideen für einen eigenen »LOGON« oder Codenamen. Hier einige Beispiele: Albatros, Hacman, Prof. Falken, Donald Duck, Blackbird, Sister CPU, Hacintosh, Dr. Binaer, Mr. Bit & Dr. Byte, Codo, Interram oder Hein-Soft. Namen gibt es noch und nöcher.
Einige findet man in geradzu jeder Box wieder, andere, wohl wegen der hohen Telefonkosten, nur in regionalen. Wiederum andere Teilnehmer verwenden einfach ihren »Vornamen aus Dingsbums«. Und manche haben anscheinend ihre Namen und Erfahrungen im Bereich des CB-Funks gesammelt.
Doch schauen wir uns die Mailboxen und deren Inhalt doch einmal etwas genauer an. Zwei Gruppen lassen sich auf Anhieb ausmachen: Die, die jede Nachricht erst nach Zensur »reinlassen«, das heißt veröffentlichen, und die, die (fast) ohne Zensur arbeiten. In beiden Gruppen geht’s quer durch den Garten. Doch nur in letzteren findet der »PHREAK«, gleich Kunstwort aus »PHone« und »Computer fREAK«, die Informationen, die sein Herz höherschlagen lassen werden. Allerdings diese dann oft in einer, für den Telekommunikations-Anfänger und -Laien gänzlich unverständlichen Abkürzungssprache.
Wie gesagt, befinden sich die meisten Mailboxen im Telefonbereich »02xxx«, und dort beginnt auch unser Überblick. Die Telefonnummern der Mailbox, deren genauer Namen und ihre Betriebszeiten sind im Kasten ausführlich aufgeführt. Falls dieser nicht vollständig ist, freut sich die Redaktion über jeden eingesandten Nachtrag.
Und noch eine Bitte: Benutzt die Mailboxen nur zu den angegebenen Öffnungszeiten. Entweder wird sonst der normale, kommerzielle Betrieb tagsüber gestört oder, bei »Handvermittlung«, wo der SYSOP (SYStem OPerator) sich erst mit VIOCE meldet, um dann den Hörer auf den Koppler zu quetschen, ist es gut möglich, daß Ihr arme, nicht hackende Menschen aus ihrem wohlverdienten Schlaf klingelt.
Wenn eine große, öffentlich-rechtliche Institution wie der Westdeutsche Rundfunk, WDR, sich dem Thema Computer annimmt, ist man ja schon froh, daß in den »alten Medien« überhaupt etwas mit den »neuen« geschieht. Und Dank dieses »WDR-Computer-Clubs« gibt es auch eine gleichnamige Mailbox. Leider dachte man zu wenig an die Anrufer, die nur mit 40 Zeichen auf dem Bildschirm arbeiten können, und so ist die nicht umschaltbare 60-Zeichen-Anzeige manchmel etwas mühselig zu lesen. Inhaltsmäßig muß eine solche »offizielle« Mailbox wohl sehr aufpassen. Hauptsächlich beschränkt sich dieser meist auf liebe Grüße und harmlose Tips.
So ziemlich das gleiche Bild liefern auch die beiden Ortskonkurrenten »Epson« und »Software-Express«. Erstere erzählen viel von ihren eigenen Modellen und letztere, trotz ihres »guten« Rufes in der Hacker- und Cracker-Scene nun doch wieder wenig.
Wer’s etwas intimer haben will, ruft doch mal um die Ecke an. Dort freuen sich die »C 64-Box«, die »Saturn-Box« und die der Firma »Symic« höchster Aktualität und Aktivität auf betreibender wie auf anrufender Seite. Dies kommt den Tips & Tricks genauso zugute wie den News, ohne die kein Hacker leben kann.
Immer noch im selben Vorwahlraum 02xxx tummeln sich seit neuestem die Boxen »Mythos« (heißer Atari-Tip), »Radio Schossau«, »Esprit«, »Computer Center CC EVD« und »Kobra«. Wer nicht gerade in der Nähe wohnt und Geld für teure Ferngespräche hat, wird dort die eine oder andere nützliche Info sicher finden. Ansonsten herrscht meist nur Lokalkolorit vor.
Das gleiche gilt übrigens auch für die Inselstadt Berlin. Trotz schöner Anlagen, auf denen die T.I.C. und die »MB-Berlin« betrieben werden, gibt es in anderen Mailboxen, pardon Berlin, einfach »heißere« Informationen und News.
Nächste Station: Hamburg. Doch das Tor zur Welt verhält sich, was seine Mailboxen angeht, wie das eigene Wappen — zu. Entweder ist wirklich dauernd besetzt oder stundenlang nur Quatsch auf dem Bildschirm. Denn die beiden Boxen, »Uni-Hamburg« und »M.C.S« gelten bekanntlich als die Haus-Boxen des Chaos–Computer-Clubs. Jenen Jungs also, die sich selbst zu den Oberhackern der Nation gekürt haben. Und dementsprechend sind auch die meisten Anfragen aus der ganzen BRD in diesen Boxen. Antwort gibt’s leider nur selten.
Weiter nördlich wird’s dann wieder lustig bis heiß. In Pinneberg eröffnete vor kurzem die »Wang-Info« (versuchsweise) im 24 Stundenbetrieb ihre elektronischen Pforten. Zwar ist die Teilnehmerzahl verständlicherweise noch gering, doch immerhin! Zudem läßt ein Helpmenü von 40 KByte auf vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten schließen.
Ganz heiß wird’s dann in Kiel. Dort ist die »N.C.S.-Box« zu Hause und tourjour zu erreichen. Wer sich da als User eintragen läßt, hat auch wirklich was davon.
Höchst informativ wird es dann erst wieder rund um die Main-Metropole. Bei »Decates« lohnt sich das Reinschauen allein schon wegen der witzigen Kommentare des »Sysop«. Ganz zu schweigen von der internationalen Mailbox-Nummernliste und den vielen informativen Einträgen der User. Als eine der wenigen bietet »Decates« auch ein »Download« von Programmlistings an.
Gleich nebenan ist »Tecos« mit einer ebenfalls sehr guten Box beheimatet. Die »Taunus-Box« mag wohl keiner, denn sie ist leider leer. Ganz anders dagegen die »Otis-Box«. Sehr interessant und sehr aktuell. Eine private Box, die auch Werbung und Angebote führt.
Im Süden ist dann wieder krasse Ebbe. Hier scheint’s, kriegen die Jungs, trotz mannigfaltigen Ankündigungen, einfach kein Bein aufs Mailbox-Land. Einzige und nicht gerade aufregende Ausnahme ist die vom Franzis-Verlag betriebene Box »Tedas«. Ebenfalls mit Programm-Service und viel Eigenwerbung für das Verlagsprogramm. Nachrichten erscheinen im Bulletin erst nach vorheriger Zensur durch die Redaktion und sehen dann entsprechend brav aus.
Würde es Noten geben, nur einige wenige würden das Prädikat »sehr gut« bei allen Kriterien verdienen. Manche sind einfach beim besten Willen nicht benutzerfreundlich, andere zu lahm oder zu bieder. Doch wir stehen hier in diesem unseren Lande ja erst am Anfang einer Mailbox-Karriere.
(Klaus Koch/aa)
Telefon |
Name |
Zeit |
02 01-23 73 96 |
Radio Schossau |
22-10 Uhr |
02 11-41 45 79 |
Software-Express |
ab 18 Uhr |
02 11-59 34 53 |
Epson |
ab 18 Uhr |
02 11-32 82 49 |
EDV |
? |
0 21 51-80 13 39 |
C 64-Box |
ab 18 Uhr |
0 21 61-20 09 28 |
Symic |
|
02 21-37 10 76 |
WDR |
00-24 Uhr |
02 21-1 61 62 84 |
Saturn |
ab 18 Uhr |
0 22 02-5 00 33 |
Computer Center |
ab 18 Uhr |
02 31-77 96 20 |
Mythos |
ab 18 Uhr |
0 23 31-1 64 01 |
Kobra |
? |
0 28 41-6 62 41 |
Esprit |
? |
0 30-7 11 50 78 |
T.I.C |
ab 19 Uhr |
0 30-3 05 26 35 |
MB-Berlin |
17-09 Uhr |
0 40-41 23 30 98 |
Uni-Hamburg |
20-06 Uhr |
0 40-6 52 34 86 |
M.C.S |
00-24 Uhr |
0 41 01-2 37 89 |
Wang-Info |
00-24 Uhr |
0 43 48-7513 |
N.C.S. |
00-24 Uhr |
0 60 81-96 77 |
Taunus |
? |
0 61 54-5 14 33 |
Decates |
ab 18 Uhr |
0 61 81-4 88 84 |
Otis |
ab 18 Uhr |
0 69-81 67 87 |
Tecos |
20-07 Uhr |
07 11-51 90 08 |
Pluto |
? |
0 89-59 64 22 |
Tedas |
00-24 Uhr |
0 89-59 84 23 |
Tedas |
00-24 Uhr |