Internationaler Chaos Communication Congress in Hamburg
Der Chaos Computer Club rief, und alle, alle kamen: Zum ersten internationalen Chaos Communication Congress ’84 im Bürgerhaus von Hamburgs Randbezirk Eidelstedt.
Schlagzeilen in allen Medien hatte dieser Club schon Ende November verursacht, als er durch spektakuläre Aktionen einige Systemschwächen des BTX-Dienstes der Post aufdeckte. Zu diesem »Treffen für Datenreisende« kamen deshalb in Erwartung weiterer sensationeller Enthüllungen auch über 30 Journalisten. Unter den zirka 300 Gästen aus Europa und den USA fielen sie allerdings kaum auf, ebensowenig wie Angehörige des Hamburger Amtes für Datenschutz und Postbedienstete (denen 10 Prozent Nachlaß auf die Eintrittspreise gewährt wurde).
Die Sicherheitsmaßnahmen konnten schon beeindrucken: Teilnehmerausweis mit Lichtbild, strenge Kontrolle auf Fotoapparate, die ebenso verboten waren wie Tonaufzeichnungsgeräte; Abtasten mit Metalldetektoren, was manchen überraschenden Fund erbrachte: So manches Taschenmesser und sogar eine Tränengaspistole wurden sichergestellt.
Für die ziemlich hohen Eintrittspreise (»Kids 20 Mark, Girls 10 Mark, Sonstiges 30 Mark« und Presse übrigens 50 Mark) wurde so einiges geboten: Neben einem Café und dem Archiv, wo nach Herzenslust aus dem CCC-Bestand kopiert wurde, bis das Gerät glühte, gab es Vorführungen von Bildschirmtext und Datenfunkeinrichtungen und ein Hackcenter, wo von morgens bis morgens das Hackerleben blühte.
Die größte Anziehungskraft allerdings hatten die Workshops, in denen jeder seinen Informationshunger stillen konnte. Da ging es neben der Vermittlung von grundlegenden Kenntnissen um »Datex und ähnliche Netzwerke«, Mailboxen, Bildschirmtext, Modems, »Jura für Hacker«. Einer wollte wissen, wie groß die Gefahr der Entdeckung von Hackern durch Fangschaltungen sei und erhielt fachmännische Auskunft: Die Post sei sehr veraltet, wodurch der größte Teil der Schaltungen über Relais liefe, die visuell überprüft werden müßten. Bei Verbindungen übers Ortsnetz hinaus sei ohnehin keine Rückverfolgung möglich. Lediglich das moderne elektronische Wählsystem (erkennbar am anderen Besetzt-Zeichen und der Tatsache, daß sofort nach dem Eintippen der letzten Nummer die Verbindung vorhanden ist) erlaube ein schnelles Feststellen des Anrufers.
Datex-Dienste, insbesondere das Datex-P-Angebot, fanden eifrige Zuhörer. Für Hacker ohne eigene Teilnehmerkennung ( = NUI) ist die neue Datex-Software recht hilfreich. Beim sogenannten NUI-Scannen (Ausprobieren verschiedener Teilnehmerkennungen per Programm) meldet die Post schon vor dem Paßwort, ob eine NUI fehlerhaft ist. So muß man nicht mehr eine sehr lange Kombination (NUI + Paßwort) durchprobieren, sondern nur zwei kurze. Für Mailbox-Freunde ist Datex-P ohnehin das falsche Netz: Interessante Mailboxen laufen über das normale Telefon-Netz.
Wo Datex-P aber hilfreich sein kann, zeigte eine Demonstration: Über Gateway-Rechner der Post ist problemlos internationaler Datenverkehr möglich, zum Beispiel auch mittels des kleinen Commodore 64. Chris (Großbritannien), Dana und Robert (North American Green Network) stellten eine Leitung ins amerikanische Delphi-Netz her. Eine völlig neue Dimension der Datenkommunikation, die über das Hackertreiben und einige Mailbox-Spielereien hinausreicht, stellte Dana vor: »Es gibt keinen Grund, daß grüne Bewegungen sich der Technik des 18. Jahrhunderts bedienen.« North American Green Network arbeitet an einem internationalen Nachrichten-Netzwerk per Datenfernübertragung, das sowohl als Datenbank, als auch zur schnellen Informationsübermittlung und zu Computerkonferenzen dienen soll. Mittels der Delphi-Verbindung war dann auch bald eine solche Konferenz im Gange mit Partnern in Washington, Boston, Philadelphia und New Mexico. Der System Operator von Delphi freut sich über europäische Benutzer. Hier die Adresse von Delphi: 377 Putnam Avenue, Cambridge, MA.02139, USA.
Zurück zum Chaos Computer Club mit einem kurzen Interview.
Frage: Welche Ziele hat der CCC und inwieweit dient dazu dieser Kongreß?
Wau (CCC): Wir wollen weltweit offene Netze für die Kommunikation erreichen. Außerdem ist die effektivste Form der Kommunikation der direkte Austausch, wofür wir hier Gelegenheit schaffen. 1985 ist von den Vereinten Nationen zum Jahr der Jugend gekürt worden. Wir meinen, daß die Jugend der Welt internationale Netze zur Kommunikation verwenden können sollte und nicht durch Monopole — wie das der Bundespost — daran gehindert werden darf.
Frage: Was kostet den Homecomputer-Benutzer die Teilnahme an Datenkommunikation? Nehmen wir an, er besäße einen Commodore 64.
Alex(CCC): Wenn er Bastler ist, kommt er wohl mit zirka 200 Mark aus für Koppler und RS232C-Schnittstelle, sonst muß er etwa 300 bis 400 Mark anlegen. Dafür hat er dann aber ein Gerät mit FTZ-Nummer. Außerdem kommen noch die Telefonkosten dazu.
Frage: Wenn man Eure Arbeit so verfolgt, drängt sich der Eindruck auf, daß da etwas Subversives passiert. Weshalb hüllt Ihr Euch in Geheimnisse?
Alex: Das machen wir nur aus Gründen des Personenschutzes. Bei einigen von uns klingelt ständig das Telefon: Dauernd wird man von der Presse belagert…
Frage: Das ist wohl der Preis Eures Bekanntheitsgrades, den Eure Aktionen — wie die BTX-Sache — so mit sich bringen. Was macht Ihr außerhalb dieser Sternstunden? Ihr könnt ja nicht ständig Kongresse vorbereiten oder das BTX knacken.
Alex: Jeder hat so seine eigenen Themen. Wau beispielsweise arbeitet gerade daran, eine neue Mailbox auf die Beine zu stellen. Dann treffen wir uns natürlich, tauschen Erfahrungen aus, trinken was zusammen…
Frage: Wie sind Eurer Meinung nach die Mailboxen zu beurteilen?
Alex: Etwa 90 Prozent der Mailboxen sind ganz in Ordnung, wie MCS, USC, TAB-SOFT, RAM, WANG-INFO und so weiter. Sauer sind wir auf NCS, das überhaupt nichts taugt.
Nur die Mailbox der Uni-Hamburg ist noch schlimmer. Die haben da seit Jahren nicht mehr aufgeräumt. Man findet seitenweise uralte Mitteilungen drin.
Buko: Übel sind Mailboxen, die ganz gemütlich einen Haufen Sternchen auf den Bildschirm zaubern, Häuschen oder sowas malen und nicht daran denken, daß wir dafür Telefonkosten berappen müssen.
Frage: Eine Presseagentur hat verbreitet, einige Leute vom Kongreß hätten sich in die Frankfurter Citybank eingeloggt. Stimmt das?
Alex: Das ist eine dicke Ente!
64’er: Wir danken für das Gespräch.
(Heimo Ponnath/gk)